Zwangsmaßnahmen der internationalen Politik. Sie treffen nicht immer die schuldigen Akteure. Rezension von Friedrich K. Jeschonnek
Seit dem Angriffskrieg Russlands am 24. Februar 2022 gegen die Ukraine sind Sanktionen verstärkt in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt. Im Völkerecht werden darunter politische oder wirtschaftliche Zwangsmaßnahmen, verstanden, mit deren Hilfe Regierungen zum Einhalten vereinbarter Normen bewegt werden sollen. Sanktionen sind im Prinzip nichts Neues. Sie spielten aber vorher in der Öffentlichkeit nur eine Nebenrolle, in Fachkreisen sah das durchaus anders aus.
Dem Autor, der seit Jahren zu „Bestrafungen für ein unerwünschtes Verhalten“ forscht, ist es zu verdanken, dass er „zentrale Erkenntnisse der sozialwissenschaftlichen und insbesondere politikwissenschaftlichen Sanktionsforschung“ verständlich und gut lesbar zusammengefasst hat.
Für ihn befinden wir uns im Zeitalter der Sanktionen. Sie sind umstritten und doch allgegenwärtig. Über 70 Länder stehen unter Sanktionen und etwa 200 verschiedene Programme sind in Kraft. Nach UN-Schätzungen leben ein Drittel der Menschen in sanktionierten Staaten. Inzwischen sind sie ein Mittel des Großmachtkonflikts zwischen USA und China. Seit dem Russlandkrieg ist die Europäische Union ebenfalls aktiver Nutzer von Sanktionen. Die Unterbrechung von Handels- und Finanzströmen sind dabei die Schwerpunkte.
Vier unterschiedliche Beispiele für Sanktionsauslöser: 1986 der Bombenanschlag auf die Berliner Diskothek La Belle mit drei Toten und zahlreichen Verletzten. 2014 der Abschuss des Passagierflugzeuges MH-17 durch russisch kontrollierte Truppen über der Ukraine mit über 300 Toten. 2018 die Ermordung von Jamal Khashoggi in Saudi-Arabiens Konsulat in Istanbul. Die erzwungene Landung des Ryanair-Fluges 4978 am 23. Mai 2021 in Minsk, mit der Festnahme von Roman Protassewitsch und seiner Freundin. Der regimekritische Blogger hatte den belarussischen Diktator Alexander Lukaschenko kritisiert.
Ganz aktuell ist der Iran wieder in den Fokus von Zwangsmitteln geraten. Grund ist der massive Angriff gegen Israel in der Nacht des 20. April 2024 mit mehr als 300 Marschflugkörpern/Drohnen. Gefordert wird, dass die Europäische Union ihre Sanktionen gegen das Mullah-Regime im Hinblick auf Drohnen- und Raketentechnik ausweitet.
In 15 Kapiteln behandelt von Soest die Thematik. Sie beginnt mit der Frage „Warum überhaupt Sanktionen“ und endet mit „Sieben Empfehlungen“, die er den politisch Verantwortlichen für die Zukunft an die Hand gibt. Dazwischen geht es um die Fragen seit wann und weshalb gibt es sie? Sind oder waren sie erfolgreich oder wirkungslos? Er blickt auf die Hauptakteure dieser Waffe, die USA und seit dem 24. Februar 2022 auch die Europäischen Union (EU).
Aktuell ist das Kapitel: Sanktionslabor Russland. Hier wird ernüchternd festgestellt, dass sie allerdings bisher nicht dazu geführt haben, dass „Russland seine militärischen Handlungen unverzüglich einstellt.“ und „alle Streitkräfte und Militärausrüstungen bedingungslos aus dem gesamten Hoheitsgebiet der Ukraine abzieht“. Festzustellen ist auch, dass Sanktionen nie alleine wirken. Es muss immer ein Zusammenwirken von wirtschaftlichen, humanitären und militärischen Maßnahmen geben. Das ist bei den Sanktionen gegen Russland der Fall. Die Ukraine wird mit Waffenlieferungen unterstützt und ihr wird wirtschaftlich und humanitär geholfen. Ob sie die Beendigung des Krieges erreichen, bleibt abzuwarten.
Die meisten Sanktionen richten sich gegen die Verletzung von Menschenrechten und Wahlfälschungen in Ländern wie Guinea, Nicaragua, Myanmar oder den Kongo. Der Öffentlichkeit ist dies kaum bekannt und wird auch kaum beachtet. 2018 verabschiedete das britische Parlament den Magnitsky-Act, benannt nach dem russischen Anwalt Sergej Magnitski, der im August 2009 in einem russischen Gefängnis verstarb. Hiermit ist es möglich Opfer von Polizeigewalt, Folter oder Angriffskriegen mit Sanktionen zu belegen. Alle EU-Staaten haben ein Sanktionsregime beschlossen. Wirtschaftliche Sanktionen umzusetzen ist für kleinere und mittlere Unternehmen besonders schwierig.
Sanktionen werden als Instrument der Außenpolitik beliebt bleiben, meint der Autor. In drei Bereichen werden die Zwangsmittel zunehmen. Hierzu zählen die internationalen Finanzströme, die Lieferung von Hochtechnologie und individuelle Sanktionen gegen Personen und Organisationen. Er schließt mit sieben Empfehlungen. Ein kurzes Fazit daraus: Sanktionen sollten letztes und nicht erstes Mittel sein. Westliche Mächte sollten gemeinsam handeln und ihre Entscheidungen auch erklären. Das ist notwendig, weil Sanktionen auch die eigene Wirtschaft und die Bevölkerung treffen.
Grundsätzlich sind auch immer Ausstiegsszenarien, „Sonnenuntergangs-Klauseln“ wie der Autor es nennt, mit zu bedenken. Sanktionen treffen oft die „Ärmsten der Armen“ und die Autokraten bleiben unberührt. Beschlossene Sanktionsentscheidungen müssen aktiv umgesetzt werden, damit sie nicht ins Leere laufen. Eine Erkenntnis hat sich seit dem Austritt Großbritanniens aus der EU gezeigt, die Union hat ihre mächtigste Sanktions-Verwaltung verloren.
Mit seinem Werk ist es Christian von Soest gelungen ein relativ unbekanntes Politikfeld aufklärend zu beleuchten. Sanktionen werden auch in Zukunft aus der Politik nicht verschwinden und weiter Bestand haben. Die Bundesregierung hat daher Ende 2022 mit dem Sanktionsdurchsetzungsgesetz II strukturelle Verbesserungen bei deren Durchsetzung beschlossen.
Christian von Soest: Sanktionen. Mächtige Waffe oder hilfloses Manöver? Frankfurter Allgemeine Buch, 2023, 240 S. Hardcover, Euro 24,00, ISBN 978-3-96251-165-4.