Schmale Gewässer, gefährliche Strömung; Über den Konflikt in der Taiwanstraße

Chinas Machtanspruch auf Taiwan Rezension von Peter E. Uhde

Die Meerenge zwischen der Volksrepublik China (VR China) und der Republik China auf Taiwan hat eine Ausdehnung von 130 bis 180 km. Die Insel Taiwan liegt gegenüber der chinesischen Festlandprovinz Fujian. Die Taiwanstraße verbindet das Ostchinesische Meer mit dem Südchinesischen Meer.

Das geopolitische Interesse der Europäischen Union und auch Deutschlands an der Region im Südpazifik ist in den letzten Jahren gewachsen. Im September titelten die Medien „Deutsche Fregatte vor Taiwan“. Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Bundestag, Marcus Faber, sagte dazu: „Jedes Schiff darf nach internationalem Recht die Taiwanstraße passieren. Freie Handelswege sind weltweit für unseren Wohlstand sehr wichtig.“ Mit der Durchfahrt zeige Berlin den "Wertepartnern in der Region wie Taiwan, Südkorea und Japan, dass sie sich auf Deutschland verlassen können". Begleitet wurde die Fregatte "Baden-Württemberg" vom Versorgungsschiff "Frankfurt am Main". Was Faber nicht erwähnte, ist der Konflikt zwischen der VR China und dem Inselstaat.

 Das tut Stephan Thome in seinem gerade erschienenen Buch „Schmale Gewässer, gefährliche Strömung“ - „Über den Konflikt in der Taiwanstraße“ ausführlich. Der Autor weist auf den ungelösten Machtanspruch Chinas im Indopazifik hin, der viel Sprengstoff birgt. Der chinesische Staatspräsident Xi Jinping und die kommunistische Führung in Peking betrachten die Republik Taiwan als „abtrünnige Provinz“, die mit dem Mutterland wiedervereinigt werden müsse. Die demokratische Regierung in Taiwans Hauptstadt Taipeh will ihre Unabhängigkeit bewahren.

Die Spannungen zwischen der VR China und Taiwan, die sich in letzter Zeit verschärft haben, resultieren „aus historischen Entwicklungen, politischen Interessen und nationalen Pathologien“. Der Autor vermutet, womit er sicher Recht hat, dass diese in Deutschland nur zum Teil bekannt sind. Dem will er inhaltlich abhelfen. Der Dreiklang von Geschichte, Politik und Nationalismus zieht sich durch das gesamte Buch.

Nach einer allgemeinen Einleitung folgen drei Hauptkapitel. Das erste umfasst die Zeit vom Ende des Pazifikkrieges 1945 bis zum Beginn des Koreakrieges 1950. In den Jahren des Koreakrieges rückte die Insel ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Nach dem ersten Besuch eines amtierenden US-Präsidenten, Richard Nixon, in Peking im Februar 1972 glaubte die US-Administration, die Beziehungen zu China verbessern zu können. Nixons Toast zum Abschied in Shanghai gab seinem einwöchigen Besuch den Titel: „the week that changed the world“.

Eine wichtige Rolle bei der Öffnung der Beziehungen zu China spielte die Geheimdiplomatie Henry Kissingers. Für Japan und Taiwan war die Kehrtwende der USA gegenüber der VR China ein Schock. Taiwan hätte es wissen müssen, denn im Oktober 1971 wurde es mit 76 Ja-Stimmen, 35 Nein-Stimmen und 17 Enthaltungen aus den Vereinten Nationen ausgeschlossen. Seitdem hat die Volksrepublik China einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat. Die USA standen bei dieser Entscheidung nicht auf der Seite Taipehs. Mit der Resolution 2758 der UN-Generalversammlung in New York begann Taiwans Weg in die diplomatische Isolation.

Im Jahr 1987 wurde das Kriegsrecht in Taiwan aufgehoben. Nach dem Tod von Chiang Ching-kuo, dem Sohn von Chiang Kai-shek, begann im Januar 1988 die Demokratisierung des Landes. Der historische „Verrat“, wie die Hinwendung der USA zu China genannt wird, hat sicherlich dazu beigetragen. In den USA selbst kam das Erwachen aus der politischen und wirtschaftlichen Annäherung an das kommunistische Regime plötzlich und unerwartet. Auslöser war die gewaltsame Niederschlagung der friedlichen Revolution auf dem Platz des Himmlischen Friedens im Herzen Pekings Anfang Juni 1989. Das Blutbad schockierte Washington. Aus dem kurzen Sommer der chinesisch-amerikanischen Beziehungen wurde eine Eiszeit, mit der Peking wohl nicht gerechnet hatte.

Machen wir einen Sprung zu Xi Jinping, der der „23. Provinz“ und den USA ein klares Ziel gesetzt hat. Die Volksrepublik lässt keinen Zweifel daran, dass sie die USA als Ordnungsmacht im Westpazifik ablösen will. Daran wird sie auch Barack Obamas „Pivot to Asia“ nicht hindern. In der Taiwan-Frage verfolgt Xi Jinping eine offensivere Strategie als seine Vorgänger. Ständige Verletzungen der Air Defense Identification Zone (ADIZ) sind an der Tagesordnung. Kann sich Taiwan gegen Angriffe aus der Luft und von See verteidigen, was würden die USA in einem solchen Fall tun? Diese Frage kann letztlich auch der Autor nicht beantworten. Nehmen wir eine Formulierung aus einer Fußnote: „Um sich gegen den feuerspeienden Drachen aus China zu verteidigen, soll Taiwan in ein uneinnehmbares Stachelschwein mit Tausenden von spitzen Stacheln verwandelt werden“. Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war ein Weckruf für Taiwan. Seitdem wird verstärkt aufgerüstet. „Taiwans Sicherheit ist entscheidend für die Sicherheit der Region und für die Weltwirtschaft“, heißt es aus der Biden-Administration. Wie das bei einem Regierungswechsel in den USA klingen würde, bleibt abzuwarten.

„Die höchste Kriegskunst besteht darin, den Feind zu unterwerfen, ohne mit Waffen zu kämpfen“. Diese Weisheit von Sunzi, ca. 544-496 v. Chr., ist dem dritten Kapitel vorangestellt, in dem an aktuellen Beispielen erläutert wird, an welchen Fronten bereits gekämpft wird. Desinformation und Fake News und seitens der VR China auf dem diplomatischen Parkett, auf dem die Republik China international nirgendwo in Erscheinung treten darf. Weder die EU noch die G7-Staaten haben Taiwan diplomatisch anerkannt. Auch Deutschland unterhält in Taipeh nur eine inoffizielle Vertretung. 

Im Jahr 2027 feiert die Volksbefreiungsarmee ihr hundertjähriges Bestehen. Dieser Zeitraum gilt als der gefährlichste im aktuellen Konflikt. „Wir versuchen also, Zeit zu kaufen, in der Hoffnung, dass sich die innere Struktur Chinas irgendwann ändert. Sollte China eines Tages ein demokratisches Land werden, wäre die Kriegsgefahr geringer oder würde sogar ganz verschwinden“, hofft Ex-Generalstabschef Lee.

Mit diesen Hintergrundinformationen ist es dem Autor gelungen, den Leser in die geopolitische Situation im Südpazifik einzuführen. Die Brisanz einer Eskalation, die aus einem schmalen Gewässer entstehen könnte, ist nun besser zu verstehen. Wer sich für die Geschichte der Volksrepublik China und der Republik China interessiert, ist mit dem Buch von Stephan Thome gut bedient. Ein Anhang mit komprimierten historischen Daten aus dem Text hätte Redundanzen vermieden. 

Stephan Thome: Schmale Gewässer, gefährliche Strömung; Über den Konflikt in der Taiwanstraße. Suhrkamp Verlag, Berlin 2024, 367 Seiten, ISBN 978-3-518-43204-4,  25,-- Euro

 

 

 

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