DEUTSCHE KRIEGER. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte

Vom Volksheer zur Bundeswehr Rezension von Peter E. Uhde

Erst seit Anfang November 2020 auf dem Markt, ist schon die zweite Auflage des Buches „Deutsche Krieger. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte“ erschienen. Da muss einiges dran und inhaltlich drin sein, was der Autor Sönke Neitzel, den Lesern anbietet. Seit 2015 hat er den einzigen Lehrstuhl in Deutschland für Militärgeschichte/Kulturgeschichte der Gewalt am Historischen Institut der Universität Potsdam inne. Bei dieser Fächerkombination ist ein komplexer Inhalt, nach der dem Panzergeneral Heinz Guderian zugeschriebenen Redensart: Nicht kleckern, sondern klotzen, zu erwarten.

Wie im Untertitel angegeben, gliedert sich das Werk in sechs Kapitel mit entsprechenden Untertiteln. Diese befassen sich mit dem Militär im Kaiserreich, der Reichswehr in der Weimarer Republik, der Wehrmacht im Dritten Reich, der Bundeswehr in der Bonner Republik und die Nationale Volksarmee in der DDR. Abschließend richtet der Autor den Blick nochmals auf die Bundeswehr von der Wiedervereinigung bis heute. Einleitung und Resümee umrahmen das Ganze. Die im Anhang aufgeführten über 2000 Anmerkungen ergänzen manche Aussagen, Feststellungen und Zitate. Sie erfordern viel Zeit für ergänzendes Lesen.

In jedem Kapitel werden die Streitkräfte in die politischen, gesellschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Zeitepoche eingeordnet. Im Kaiserreich (1871-1918) fällt der Blick auf das Verhalten der Kolonialtruppen, das Innere Gefüge der Truppen der Bundesstaaten, die Anpassungen an Strategie und die sich weiter entwickelnde Militärtechnik. Die Materialschlachten im Westen, die Kämpfe an der Ostfront und dabei erfolgte Verstöße gegen die Haager Landkriegsordnung, Gewalt und Verbrechen an Zivilpersonen bis zur Kapitulation im November 1918 werden behandelt. Deutschland konnte den Krieg nicht gewinnen. Es hätte auf das Friedensangebot des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson vom 22. Januar 2017 eingehen können. Mit dem Kriegseintritt der USA im April 2017 war das Schicksal des Kaiserreichs besiegelt, seine Zeit abgelaufen. Eine geschlagene Armee kehrte über den Rhein ins Reich zurück, darunter der Meldegänger Namens Adolf Hitler. Der Name eines Kriegers Hermann Balck, hier noch Leutnant, in der Wehrmacht stieg er zum General der Panzertruppen auf, durchzieht das Buch. Er war überzeugt, dass ziviler Widerstand sofort mit dem Tod zu bestrafe sei und hält in seinem Tagebuch auch Erschießungen fest.

Nach der am 11. November 1918 vollzogenen Unterschrift unter den Waffenstillstandvertrag verhandelten die Siegermächte in Versailles über einen Friedensvertrag. Die innere und äußere Sicherheit im Reich war labil. Die Regierung befürchtete Unruhen und Landnahme im Osten. Es bildete sich die vorläufige Reichswehr, die nach Inkrafttreten des Versailler Vertrages Anfang 1921 auf 100.000 Mann reduziert wurde. Es dauerte nicht lange und als neues Feindbild fand der Bolschewismus Eingang in militärische und gesellschaftliche Kreise. Als Beispiel der sei der schon erwähnte Hermann Balck genannt, der meinte „Unsere Zeit schreit nach einem Reformator oder einer neuen Religion.“ 1921 wird erstmals ein Zivilist, Otto Geßler, Reichwehrminister. Die Soldaten der Weimarer Republik legen den Eid auf die Verfassung ab. Oberster Befehlshaber ist der Reichspräsident. Seine Anordnungen bedurften allerdings der Gegenzeichnung des Reichswehrministers und dieser war dem Parlament verantwortlich. Der immer wieder aufgestellten Behauptung, dass die Reichwehr `ein Staat im Staate` war, folgt der Autor nicht. Das Offizierskorps war eher monarchistisch als republikanisch eingestellt, beim Unteroffizierkorps ist es wohl anders gewesen. Traditionsriten der Alten Armee wurden übernommen und toleriert. Erst zehn Jahre nach Untergang der Monarchie wurde das „Hoch auf den Kaiser“ in den Casinos verboten. Im Laufe der Jahre entwickelte sich in der Reichswehr eine neue Militärkultur. Die Institutionalisierung der Vertrauensleute oder auch, dass die Offizieranwärter die ersten fünfzehn Monate ihres Dienstes mit den Mannschaften machen mussten, Einzelzimmer für Unteroffiziere und gleiche Verpflegung für alle Dienstgradgruppen waren deutliche Verbesserungen gegenüber der Kaiserarmee. Neitzel fasst zusammen: „Demokraten im Offiziersrock gab es kaum. Loyal war die Reichswehr vor allem dem Reichspräsidenten gegenüber. Ein Handeln gegen das Staatsoberhaupt kam für die Streitkräfte nicht infrage, weder gegen Friedrich Ebert 1923/24 noch gegen Paul von Hindenburg 1932/33. Als Letzterer den Widerstand gegen die NSDAP aufgab und Hitler zum Reichskanzler ernannte, war von der Reichswehr kein Widerstand zu erwarten.“

Das dritte Kapitel behandelt den Aufbau der Wehrmacht und steht im Zeichen des totalen Krieges. Es reicht von der völkischen Wehrgemeinschaft über die intensiven Kriegsvorbereitungen zum Angriff mit über 50 Divisionen am 1. September 1939 auf Polen. Der schnelle Sieg überrascht die Militärs. Es schließt sich der Raid durch Frankreich an. Vorwärts, immer nur vorwärts ist die Devise. Die politische und militärische Führung sonnt sich in den Erfolgen, überschätzt diese und sah nicht die heraufziehenden Schatten. Jetzt kann der Feldzug gegen die Sowjetunion gewagt werden. Mit der Auslösung des „Fall Barbarossa“ am 22. Juni 1941 begann die Hybris, die in die Nemesis führte. Es stellte sich schnell heraus, dass „für einen Marathonlauf fehlten alle Voraussetzungen“ schreibt der Autor. Kampferfahrene und gut bewaffnete Verbände gab es immer weniger, der Nachschub ließ zu wünschen übrig. An allen Fronten wurden die Verbände in die Defensive gedrängt. Die letzten Monate des Krieges waren eine Katastrophe. Zwei Zahlen, im Januar 1945 fielen rund 450.000 deutsche Soldaten, dagegen betrugen die Gesamtverluste der US-Streitkräfte  im Zweiten Weltkrieg 410.000. Der Abschnitt „Kohäsion“ befasst sich mit Gründen des Zusammenhalts von Primärgruppen, Auszeichnung- und Beförderungswesen, Opfertum und Korpsgeist der Waffengattungen. Hier, wie auch in anderen Teilen des Buches, stehen besonders die Fallschirmjäger im Blickpunkt.

Zum Abschluss des Wehrmachtsteils befasst sich der Autor mit Verbrechen, die durch die Wehrmacht gemacht oder von ihr unterstützt wurden. Sie beginnen im Polenfeldzug, gibt es aber auch im Westfeldzug und arten im Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion aus. „Die außerordentlich hohe Bereitschaft zur Gewalt gegen Gefangene oder Zivilisten war zweifelsohne eine [ kursiv gesetzt] der Signaturen der deutschen Streitkräfte im Zweiten Weltkrieg“, so Neitzel. Auf die Tötung von Gefangenen wird im Fazit zum dritten Kapitel gesondert eingegangen. Gewalt gegen eigene Soldaten, Zivilisten, Kriegsgefangene, Beteiligung am Holocaust stellten eine „Entgrenzung der Gewalt“ ohne gleichen dar. Der Mythos, dass die Wehrmacht die besseren Soldaten gehabt hat, hat sich bis in die Anfangsjahre der Bundeswehr gehalten.

Im vierten und fünften Kapitel werden die Bundeswehr und die Nationale Volksarmee betrachtet. Mit Aufstellung der Bundeswehr ging es um die Erlangung staatlicher Souveränität. Über den Zeitraum von 1955 bis zur Wiedervereinigung 1990 gibt es unzählige Literatur. Sie reicht über die politische Einordnung der Streitkräfte in die demokratische Verfassung, die Wehrverfassung oder den Diskurs zwischen Reformern und Traditionalisten, dafür stehen zwei Namen Wolf Graf von Baudissin und Heinz Karst. Des Weiteren sind hier Feststellungen zu operativen Planungen, zur Entspannungspolitik, zu Skandalen, z.B. dem Iller-Unglück 1957, bei dem 15 Wehrpflichtige bei der Ausbildung ertrinken, Leutnante´70, Hauptleute von Unna ´71 u.a. zu finden. Aber auch Anpassungen an die Veränderungen in der Gesellschaft wie z.B. die politisch eingeleitete Bildungsoffensive werden beschrieben. Intensiv wird die Thematik Tradition behandelt. 1965 erschien der erste Traditionserlass. Bezüge zum Ersten Weltkrieg, zur Wehrmacht, z.B. Benennung von Kasernen nach Generälen, Geschwader Namen nach Fliegerassen oder übernommenes Liedgut waren nicht mehr opportun. Es gab immer wieder Kritik daran. Der folgende Erlass vom September 1982 sollte der Truppe dann helfen aus dem Dilemma rauszukommen. Dass auch dies nicht gelang wird später zu sehen sein. Eines bleibt aus den Anfangsjahren der Bundeswehr festzuhalten. Die Streitkräfte wurden voll unter zivile Kontrolle gestellt. Schon der Brigadegeneral wurde als politischer Beamter definiert und konnte in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Der preußische Militarismus sollte endgültig der Vergangenheit angehören.

Im Kapitel „Außen preußisch – innen sowjetisch“ wird die Entwicklung der Nationalen Volksarmee von 1952 bis zur Auflösung am 3. Oktober 1990 beschrieben. Nach dem Volksaufstand am 17. Juni 1953, der nur mit Hilfe der Sowjets niedergeschlagen werden konnte, hatte die DDR-Führung erkannt, dass die Kasernierte Volkspolizei nicht in der Lage war, die innere Sicherheit des sozialistischen Staates zu gewährleisten. Im Januar erfolgte die Umstrukturierung der etwa 120.000 Angehörigen der Volkspolizei in die Nationale Volksarmee (NVA). Sie wurde Teil der Herrschaftssicherung der SED. Operativ war sie in das Warschauer Vertrags-system eingegliedert. Ihre militärische Professionalität gegenüber den anderen Warschauer Pakt Armeen wird anerkannt. Mit der Auflösung der DDR war das Ende der NVA besiegelt. Zur Übernahme von Personal und Material in die Bundeswehr wird im folgenden Kapitel einiges ausgeführt.

Mit der deutschen Wiedervereinigung im Oktober 1990, der Auflösung des Warschauer Pakts und dem Zerfall des Sowjetimperiums begann für das deutsche Militär eine neue Epoche. Vorerst ging es um die Personalreduzierung der Bundeswehr, den Verkauf und die Verschrottung der NVA-Technik oder die Übernahme der Infrastruktur. Auch der Abzug der Russen musste unterstützt und deren Hinterlassenschaft beseitigt werden. Den Forderungen der USA, sich im Zweiten Golfkrieg mit Truppen zu engagieren, konnte sich die Bundesregierung entziehen. Die Übernahme von rd. 17 Milliarden Mark der Kriegskosten waren der Ablass dafür. 1982/83 rund 150 Sanitätssoldaten zum UN-Blauhelmeinsatz nach Kambodscha zu entsenden war politisch kein Problem, Kämpfer waren da noch nicht gefragt. Am 12. Juli 1994 entschied das Bundesverfassungsgericht, dass sich die Bundeswehr auch an `out of area`Einsätzen beteiligen könnte. Beim Zerfall Jugoslawiens war die Bundeswehr dann im Einsatz. In den Kasernen gab es Zeichen von Wehrmachtstradition und auch bei den Einsätzen kochte die Traditionsdebatte wieder hoch. Das 1999 erarbeitete „Kochbuch“, so die Truppe, „Leitfaden Traditionspflege“ sollte die leidige Thematik aus der Welt schaffen. Das gelang nicht und nachdem 2017/18 nochmals in alle Kasernenwinkel nach Vorbild-Kriegern gesucht wurde, unterzeichnete Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen im März 2018 einen neuen Erlass.

Unabhängig von den Papiergefechten an der Heimatfront war die Bundeswehr seit Anfang Januar 2002 an der Seite von anderen Verbündeten in Afghanistan im Einsatz. Die Begründung des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck lautete: „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt“. Im Laufe des Einsatzes verschärfte sich die Sicherheitslage immer mehr. Der erste Tote war der Russlanddeutsche Hauptgefreite Sergej Motz. Sein Vater hatte als sowjetischer Soldat in Afghanistan gekämpft. In weiteren Gefechten fielen Soldaten. Am Karfreitag, dem 2. April 2010 geriet bei Isa Khel ein Infanteriezug in einen Hinterhalt, drei Tote und mehrere Verletzte waren zu beklagen. Große Wellen in den heimischen Medien schlug die Bombardierung von Tanklastwagen im September 2009 in der Nähe von Kunduz. Oberst Georg Klein hatte das Befohlen, die genaue Anzahl der dabei getöteten Afghanen ist unbekannt.

Innere Führung, Korpsgeist, kämpfen und töten, wie geht das zusammen. Dieser Frage geht der Autor im letzten Kapitel des Buches intensiv nach. Sein Resümee ist ernüchternd. Immer wieder taucht die Frage auf, ob man die Bundeswehr vom Krieg oder vom Frieden herdenken soll? Im Hinterhalt in Afghanistan oder in anderen Kampfeinsätzen stellt sich diese Frage. Dann geht es ums Überleben. „Sönke Neitzel hat mit „Deutsche Krieger“ ein Werk geschaffen, an dem künftig niemand vorbeikommen wird, der über die Deutschen und ihre Beziehung zum Militär schreiben will“, fasst der englische Militärhistoriker Richard Overy sein Urteil über das Buch zusammen. Dieser Bewertung kann man sich uneingeschränkt anschließen.

Neitzel, Sönke: DEUTSCHE KRIEGER. Vom Kaiserreich zur Berliner Republik – eine Militärgeschichte, 2. Auflage 2020, Propyläen Verlag, ISBN: 978-3-549-07647-7, 35,00 Euro.

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