Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können.

Weckruf und Mahnung an Europa Rezension von Peter E. Uhde

Rezension von Peter E. Uhde

Das transatlantische Verhältnis zu Deutschland und der Europäischen Union (EU) war in den letzten Jahren nicht besonders intensiv und von Freundschaft geprägt. Mit Amtsantritt des US-Präsidenten Joe Biden im Januar 2021 versprachen sich Deutschland und die EU eine deutliche Verbesserung der Beziehungen zur neuen Administration jenseits des Atlantiks. Josef Braml hat sich in seinem neuen Buch: „Die Transatlantische Illusion“ dieser Problematik angenommen. Noch erklärender ist der Untertitel: „Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können“.

Bevor es um den Inhalt geht, ist eine Vorbemerkung angebracht. Das Manuskript war vor dem 24. Februar abgeschlossen. Putins Krieg, der Angriff der russischen Föderation auf die Ukraine und das politische Engagement des amerikanischen Präsidenten konnten daher noch keinen Eingang finden. Ebenso nicht die militärischen Maßnahmen der NATO zur Stärkung der Ostflanke und die Sanktionen der EU gegen den Angreifer.

Vor zehn Jahren erschien vom anerkannten USA-Experten Josef Braml Buch: „Der amerikanische Patient“. Diese Analogie hat ihn nicht losgelassen und das erste Kapitel im neuen Werk ist ebenso überschrieben. Der Versuch des 28. Präsidenten der USA Woodrow Wilson nach dem Ersten Weltkrieges eine neue Weltordnung durch den Völkerbund zu schaffen, schlug fehl.

Nach Ende des Zweiten Weltkrieges zog sich die USA nicht auf sich zurück, sondern garantierte eine internationale liberale Weltordnung. Mit Ende des Kalten Krieges und dem Zerfall der Sowjetunion blieben die USA der liberale Hegemon. „Die amerikanische Nation hat keine Ideologie, sie ist eine“, so ein Zitat des Historikers Detlef Junker. „Missionarische Macht“ verbunden mit „Macht ohne Moral“ ist in der amerikanischen Außenpolitik immer wieder Handlungsmaxime gewesen.  

Nach dem Abgang Donald Trumps wendet sich der neue Präsident wieder mehr internationalen Allianzen zu. In ihnen sieht er gute Gelegenheiten Amerikas Führungsrolle neu zu stärken. Amerika muss wieder führen, denn nur so kann es seine globale Verantwortung rund um den Globus wahrnehmen. Das Problem ist allerdings, dass innenpolitische Konflikte zwischen Republikanern und Demokraten ihn dabei hindern, Weltordnungsfunktionen wahrzunehmen. Um nur einige Konfliktfelder zu nennen, um die es dabei geht: Sicherheit, Freihandel, funktionierende Finanzmärkte oder eine stabile Leitwährung. Die massiven sozialen, wirtschaftlichen und politischen Innenprobleme beeinträchtigen das außenpolitische Handeln der Regierung. Der Autor meint daher, dass Amerika zukünftig versuchen wird, Lasten abzuwälzen. Das würde Deutschland „massiv“ treffen. Auch bei den Demokraten gilt Nationalinteressen durchzusetzen und das bedeutet daher auch für sie „America first“.

Im zweiten Kapitel geht der Autor auf den Systemwettbewerb mit China ein. Die einstmalige Hoffnung, China in die von den USA westlich dominierter Weltordnung einzubinden, hat sich total zerschlagen. Von den rund 190 Ländern der Welt treiben mehr als 90 doppelt so viel Handel mit China wie mit den USA. Durch die Bereitstellung von Infrastruktur, Handels- und Informationswegen baut China seine Vormachtstellung gegenüber den USA weltweit aus. Die Verschuldung der USA gegenüber China ist ebenfalls ein ungelöstes Problem. Mit der Hinwendung nach Asien wird der Kampf um Märkte in den aufstrebenden Schwellenländern zwischen den USA und China weiter verschärft. „Angesichts der ökonomischen und geopolitischen Perspektiven in der Wachstumsregion Asien-Pazifik droht Europa wirtschaftlich noch mehr ins Hintertreffen [zu]geraten“ prognostiziert Braml.

Im nächsten Abschnitt wendet sich der Autor Russland zu. Sein Augenmerk liegt beim größten Flächenland der Erde auf dessen Stellung zwischen China und „dem Westen“. Russland hat 14 Landesgrenzen zu anderen Staaten und macht es somit angreifbarer als die durch zwei Ozeane geschützte USA. Napoleons Russlandfeldzug 1812, der Krieg des Deutschen Reiches 1914 bis 1918, als das Reich noch eine Grenze zu Russland hatte, und der „Große Vaterländische Krieg“ 1941 bis 1945 führten dazu, dass Moskau sich einen „Cordon sanitaire“ von Satellitenstaaten und europäischen Sowjetrepubliken schuf.

Der Zerfall der Sowjetunion 1991 war für den jetzigen Präsidenten Wladimir Putin „die größte geopolitische Katastrophe des 20. Jahrhunderts“. Seine Sicherheitsinteressen sah Moskau durch die Osterweiterung der NATO und die im April 2008 auf dem NATO-Gipfel in Bukarest beschlossene Beitrittsperspektive für Georgien und die Ukraine „massiv betroffen“. Dass am 24. März 2022 ein Krieg Russlands gegen die Ukraine, das „Brudervolk“ werden würde, hätte sicher auch der Buchautor nicht vermutet. Zu widersprechen ist der Aussage: „Wladimir Putin wird hierzulande zu Recht von vielen kritisch gesehen. Dennoch könnte es sein, dass man sich in Zukunft noch nach ihm zurücksehnen wird, denn bei aller Aggressivität ist Russland unter ihm doch grundsätzlich berechenbar geblieben, weil er vor der ganz großen Eskalation immer wieder zurückgeschreckt und Risiken kühl kalkulierend eingegangen ist“.

Um gemeinsame Interessen oder Konflikte zwischen den USA und Europa geht es weiter. Was würde passieren, wenn die USA sich aus der NATO zurückziehen würden. Bei ernsthaften Konflikten mit dem transatlantischen Partner „steht Europa strategisch vollkommen blank da“. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron ist darauf in seiner sicherheitspolitischen Grundsatzrede 2020 an der École de Guerre darauf eingegangen. In Deutschland wurde das aber kaum wahrgenommen. Von einer gemeinsamen strategischen Kultur ist Europa noch weit entfernt. Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU wird von Washington kritisiert, weil die EU damit NATO-Fähigkeiten „dupliziere“. Nach Ansicht der USA müsste, vor allem Deutschland, auch mehr für seine eigene Sicherheit ausgeben. Die Verpflichtung, das Zweiprozent-Ziel der Wirtschaftsleistung wird wohl in Zukunft eingehalten werden. Von der der Schaffung des Sondervermögens von 100 Milliarden Euro wird auch die amerikanische Rüstungsindustrie profitieren. Der Kauf des F-35-Kampfjet des US-Herstellers Lockheed Martin sichert die sogenannte „nukleare Teilhabe“. Bis ein europäische Nachfolgemodell für die veralteten Tornados gebaut und zertifiziert wäre, würden Jahre vergehen. Die Uneinigkeit Europas bei der Entwicklung zukunftsfähiger Technologien werden die USA und China ausnutzen. „Es ist höchste Zeit, die Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit der Europäischen Union zu verbessern,“ ist eine Forderung.  Deutschland sollte hier eine Führungsrolle übernehmen. Seine Volkswirtschaft ist international stark verflochten, damit aber auch verwundbar. In der Corona-Pandemie waren die Lieferketten anfällig. Um dem zu entgehen sollten zentrale Politikfelder besonders Beachtung finden. Das sind neben der Handelspolitik die Finanz- und Währungspolitik. Hinzu kommen die Umwelt-, Energie- und Technologiepolitik. Sie alle haben Einfluss auf die zukünftige Sicherheitspolitik Deutschlands.

Daraus leitet sich eine Forderung ab, die nicht nur der Autor, sondern auch von anderen Fachleuten immer wieder zu hören ist. „Wir müssen selbständiger werden: militärisch, politisch und wirtschaftlich. Das geht nicht von heute auf morgen, Aber wenn wir jetzt nicht damit anfangen, dann werden wir zu den Verlierern der neuen Weltordnung gehören und die Grundlagen verspielen, auf denen unser Wohlstand beruht“. Bramls Ausführungen und fundierte Mahnungen machen das sehr deutlich und sollten in der Öffentlichkeit gehört werden damit wir in der zukünftigen Weltordnung bestehen können. Gerade nach der angebrochenen „Zeitenwende“ ist dies von besonderer Bedeutung und sollte durch eine nationale Sicherheitsstrategie schnellstens umgesetzt werden.    

Josef Braml: Die transatlantische Illusion. Die neue Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können. Verlag C.H. Beck, München, ISBN 978-3-406-78502 -3, 16,95 Euro.

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