Vom schwierigen Neubeginn über Reformen bis zum „Sondervermögen“ Rezension von Siegfried Lautsch
Der Autor, Professor der Politikwissenschaft, stellt die Entwicklung der Bundeswehr seit ihrer Gründung im Jahre 1955 als Spiegelbild der bundesdeutschen Gesellschaft, als Parlamentsarmee und als Bündnisstreitkräfte dar. Dabei beschreibt er die Entwicklungslinien von ihren Wurzeln bis hin zu den aktuellen Herausforderungen der Zeitenwende.
Das Buch ist in 12 Kapitel gegliedert. Dem Einleitungskapitel über Wandel und Kontinuitäten deutscher Streitkräfte folgen zunächst Abschnitte aus der Militärgeschichte vor 1945. Historische Brüche und Kontinuitäten illustrieren den Aufbau der Bundeswehr als eine Armee in der Demokratie, verbunden mit Innovationen wie „Innere Führung“ und „Staatsbürger in Uniform“. Wirkmuster militärischer Macht werden als Abschreckungsinstrument im Kalten Krieg dabei ebenso einbezogen wie die Rolle der Friedens- und Anti-Atombewegung, der NATO-Doppelbeschluss und die Übernahme der NVA.
Wilfried von Bredow rückt die wiederkehrenden Katastrophenlagen, bei denen die Soldaten die Herzen der Bürger durch ihre vielseitige Hilfe gewinnen konnten, in den Blick: Obwohl diese Einsätze gesellschaftlich sehr wichtig waren, sind sie von den eigentlichen Aufgaben der Landes- und Bündnisverteidigung weit entfernt. Er erinnert an das „Kerngeschäft“ der Abschreckung, Landesverteidigung bzw. Kriegsverhütung. Militärische Auslandeinsätze wie u.a. auf dem Balkan und in Afghanistan führten eher zur Wahrnehmung als Aufbauhelfer statt eines Verteidigers Europäischer Stabilität. Dennoch waren die Einsätze ein wichtiger Erfahrungsgewinn. Sie führten zur „Runderneuerung“ als Parlamentsarmee einerseits und letztlich zum Ende der Wehrpflicht andererseits, verbundenen mit einem erschreckenden Fähigkeitsabbau, der noch heute nachwirkt.
Mit Blick auf die Meilensteine der Bundeswehr-Geschichte hebt der Autor treffend hervor, dass sich die Streitkräfte permanent in Planungsphasen, in Veränderungen und Anpassungen an das politische, gesellschaftliche und militärstrategische Umfeld befanden und ihr Personal immense Belastungen erdulden musste. Das sollte zukünftig gemildert werden. Eine sich wandelnde Bedrohung und ein sich daraus ergebendes strategisches, operatives und taktisches Denken erfordern überzeugende Befähigungen zur Landes- und Bündnisverteidigung, wie sie bereits vor Jahrzehnten bestanden haben und einst weitgehend anerkannt waren.
Voraussetzungen dafür wären nach Einschätzung des Autors optimierte Strukturen, ein von Kompetenz geprägtes Fähigkeitsprofil, ausreichende Finanzierungsgrundlagen und nicht zuletzt die Akzeptanz in der Bevölkerung. Frühzeitige verbindliche sicherheitspolitische Beschlüsse des Parlaments verbunden mit einer konsequenten Einsatzführung wären ebenso erforderlich wie die zügige Schließung von personellen und materiellen Lücken.
Die Weltordnung ist gegenwärtig überraschend fragil und unübersichtlich geworden. Die Folgerung daraus muss sein, über intensive soldatische Ausbildung einen hohen Grad an Professionalität zu erreichen und zu halten. Dabei sollten eine überzeugende nationale Sicherheitsstrategie und eine zielorientierte Forschung, Planung und Entwicklung der Streitkräfte den Rahmen bilden.
Soldaten aller Ebenen haben vor allem in vernetzten Kampfeinsätzen schnelle Entscheidungen zu treffen, die zu Opfern führen können. Die deutsche Gesellschaft wird lernen müssen, angemessen und würdig mit den im Einsatz stehenden Soldaten der Bundeswehr umzugehen.
Das auf den Weg gebrachte Sondervermögen für die Bundeswehr ist in diesem Kontext ein richtiger Ansatz. Er fordert nun eine Kraftanstrengung, die nur dann optimal zur Wirkung kommen wird, wenn das gesamte System von Rüstung und Beschaffung auf den Prüfstand gestellt wird. Dennoch sollten die Erwartungen nicht zu hochgesteckt sein sowie mit Geduld und Vertrauen begleitet werden.
Der Band „Die Bundeswehr“ ist in die zahlreichen Publikationen zur deutschen Sicherheitspolitik und Bundeswehrentwicklung einzuordnen. Er gehört unter diesen in die Premium-Gruppe, die man gelesen haben sollte – nicht zuletzt deshalb, weil es dem Autor gelingt, sein profundes Sachwissen mit Erfahrungen, Erkenntnissen und Schlussfolgerungen zu verbinden. Ein Anhang bietet vertiefend Übersichten über die bisherigen Bundesminister der Verteidigung und Generalsinspekteure. Eine Chronik und weitere hilfreiche Informationen runden das Werk ab.
Die aufgeführten Aspekte präsentieren ein informatives, nüchternes, kritisches, aber auch respektvolles Resümee der Leistungen der Bundeswehr, ihrer Soldaten und zivilen Mitarbeiter. Es gibt zugleich Aufschluss über die Gesellschaft, die zu schützen ist. Es werden alle Aspekte, die sich zukünftig auf die Bundeswehr auswirken könnten, behandelt. Bei einigen Fotos im Text könnte sich der Eindruck aufdrängen, dass der Autor eine rein historische Betrachtung vorlegt. Dieser Eindruck greift zu kurz: Es geht um einen Ratschlag, welchen Weg die militärisch gestützte Sicherheitsvorsorge für Deutschland in Europa und NATO gehen sollte. Unterlegt ist dieser rote Faden mit vielen relevanten Einflussgrößen, Meilensteinen und einigen neuen Details. Wohltuend ist, dass bei aller Wissenschaftlichkeit auf Fußnoten verzichtet und stattdessen auf weiterführende Literatur verwiesen wird. Einfache Sätze und gute Verständlichkeit der Argumente charakterisieren die Arbeit. Für aktive und ehemalige Soldaten, für den militärpolitisch interessierten Leser, aber auch für Träger von Erziehung und Bildung ist dieses Buch besonders zu empfehlen. Es verdient einen großen Leserkreis.
Wilfried von Bredow, Die Bundeswehr. Von der Gründung bis zur Zeitenwende, Bebra Verlag, Berlin 2023, Gebundene Ausgabe, ISBN 978-3-89809-212-8, 240 Seiten, Anhang, 28 Euro.